Donnerstag, 25. September 2014

Peters' Bakery Offenbach: Künstlerpaare in insprierender Atmosphäre

Am letzten Dienstag war ich mal wieder in Peters' Bakery, in der Offenbacher Friedrichstraße zu Gast. Das ist immer ein Erlebnis und einfach schön, dass die alte Backstube mit ihrem hübschen Pfeffer und Salz-Boden seit über 100 Jahren genutzt wird. Inzwischen ist sie ein kleiner Kunstraum geworden und derzeit laufen dort wieder kunsthistorische Vorträge von Ulrike Kuschel (Künstlerpaare II). Das sind ganz besonders erhellende und angenehme Abende, die nicht nur mit interessanten Informationen und Betrachtungen über künstlerische Beziehungen erfreuen, sondern auch mit passenden Leckereien, die eine schöne Atmosphäre stiften. So gab es diesmal Tee aus dem Sarmowar, "Cigarettes Russes"-Kekse und Pumpernickel mit Lachskaviar,kredenzt von der Hausherrin Doris Peters. 


Als erstes Künstlerpaar standen Natalia Gontscharowa und Michail Lorianow auf dem abendlichen "Lehrplan". Die Kunsthistorikerin Ulrike Kuschel stellte das russische Avantgarde-Künstlerplaar anhand beider Biografien und Werke vor und zeigte anschaulich, wo sich beide gegenseitig inspirierten und unterschieden. Ihre Verbindung war im Unterschied zu anderen nicht von Konkurrenz, sondern eher von gegenseitiger Anregung und Arbeit geprägt. Beide Künstler arbeiteten viel mit Elementen der russischen Volkskunst und werden meist dem russischen "Neoprimitivismus" zugerechnet - allerdings befassten sie sich mit verschiedensten Strömungen, wie dem Impressionismus oder Kubismus, sodass ihre Werke und besonders die der Gontscharowa, stilistisch überhaupt nicht eindeutig in eine Epoche einzuordnen sind. Später entwickelten sie sogar einen eigenen abstrakten Stil - den "Rayonismus".


Als Folge der politischen Veränderungen durch den Ersten Weltkrieg in Russland, gingen die beiden 1918 nach Paris und zogen in die Rue de Seine, Ecke Rue Jacques Callot, wo sie bis zu ihrem Lebensende lebten. In Paris arbeiteten sie unter anderem auch viel für das Theater. So schufen sie sehr fantasievolle Kostüme und Bühnenbilder für das Ballet Russe. Natalia Gontscharowa ist spätestens seit 2007 eine feste Größe der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, als nämlich im Londoner Auktionshaus Christie's eines ihrer Gemälde mit einem Rekordpreis von fast zehn Millionen Dollar versteigert wurde. Michael Larianow dagegen ist den meisten heute hauptsächlich durch seine Frau bekannt - eine Seltenheit, besonders in der Malerei. 


Wenn ich im nächsten Monat in Paris bin, werde ich ein bisschen auf den Spuren der beiden wandeln. Und bis dahin gibt es noch weitere interessante Künstlerpaare in Offenbach zu entdecken, wie Sonja und Robert Delaunay, Frida Kahlo und Diego Rivera oder Anna und Bernhard Blume. 




Mittwoch, 10. September 2014

Hafengarten Offenbach: Urbanes Lesen zur Mittagszeit

Der Morgen fing blau an, hielt sich dann aber nicht an die Wettervorhersage. Der 3. September wurde kein schöner Sommertag und mir war ein wenig bange, ob unseres Lesetermins (Autoren unterwegs in Offenbach) im Offenbacher Hafengarten. Pünktlich um elf fanden sich die Autoren unter grauem Himmel bei Wind vor dem Waggon ein. Johann Kneissl, der dort eine sehr schöne Parzelle betreibt, hatte mit dem Hafengartenteam liebevoll kleine Tischgruppen arrangiert. Alles umsonst. Den Autorinnen war kalt, die Stimmen wurden vom Wind davongetragen und wir entschlossen uns schließlich, die Lesung im Waggon stattfinden zu lassen. Eine gute Entscheidung. Denn drinnen ist es dank der schönen, hellen Holztäfelung sehr gemütlich und auch etwas eng - das hat den Vorteil, dass keiner weg kann, wenn alle mal sitzen.





Wir stellten alle Stühle in den Waggon, gegenüber dem kleinen Tresen auf, an dem wir uns positionierten. Ich wählte den Barhocker. Pit Uferstein, unser begleitender Musiker, die Sofalehne. Johann Kneissl, Katharina Eismann, Gisela Wölber und Leo Pinkerton beschlossen im Stehen neben der Theke zu lesen.

Trotz des wenig einladenden Wetters fanden gegen 11:45 willige Zuhörer den Weg über Schotter durch herbstliches Buntgemüse. Auch sie freuten sich über die schützenden Wände des Waggons, ließen sich von Isa, die dem Hafengartenteam angehört, Tee oder Cappuccino reichen und suchten sich ein Plätzchen. Kurz nach zwölf waren alle Stühle außer einem besetzt und ich staunte, wie viele Menschen in so einen alten Waggon passen.


Gisela begann mit einem Text aus ihrer Serie "Verlorene Orte", die alte Frankfurter Großmarkthalle, wo demnächst Bänker ein- und ausgehen werden, zum Leben zu erwecken. Sie nahm die Zuhörer bei Morgengrauen mit in die "Gemieskersch", in eine Welt voll sinnlicher Eindrücke, die verschwunden ist, durch Büros ersetzt. Das neue EZB-Hochhaus mit seiner weithin glänzenden Fassade inspirierte auch Katharina Eismann zu ihrem Gedicht "Gemüsegebet": "...in seiner  verglasten Weste steckt die Hafensilhouette". Johann Kneissl beschrieb poetisch die Atmosphäre im Hafengarten: "...Menschenvölker aller Schichten und Altersklassen schlendern mit gefüllten Gießkannen über Gartenkontinente...ohne Ausweiskontrolle..." Die Zuhörer folgten uns mit aufmerksamen Ohren und entrückten in der abgeschlossenen kleinen Welt des Waggons ein wenig ihrer eigenen. Kurz musste wegen Luftmangels das Fenster geöffnet werden. Nach einfühlsam dazwischen geworfenen Gitarrenklängen von Pit Uferstein nahm uns Leo Pinkterton mit in eine fantastische Geschichte und einen Paternoster, in dem ein gewisser Frederick Piperbach unsichtbar wird. Danach ging's mit Katharinas bunten Bildern aus Worten ins Markttreiben und dann über die Groß-Hasenbach-Straße nach Ürgüp in eine kleine Liebesfatamorgana, die Pit trefflich mit einem orientalischen Tango untermalte. Am liebsten wäre ich, und ich glaube auch die meisten Zuhörer, den ganzen Nachmittag im Waggon geblieben - aber draußen gab's schließlich noch Sachertorte von Johann und Kipfel von Katharina, wo man vergnügt zusammenstand und den kühlen Wind auf einmal als wohltuend empfand.

Eine schöne verlesene Mittagspause und wir freuen uns schon auf die nächste, am 1. Oktober im Genussverstärker am Goetheplatz. Texte über die Langsamkeit und das Genießen wurden heute schon gebündelt.